naive Kunst

naive Kunst
naive Kunst,
 
als Laienkunst außerhalb der kunstgeschichtlichen Stilrichtungen stehende Kunst. Im Unterschied zur Volkskunst und der vom Kult getragenen Kunst der Naturvölker ist sie ganz durch die Individualität des Künstlers geprägt, der die Malerei meist neben seinem Beruf (häufig erst im Ruhestand), aber als seinen eigentlichen Lebensinhalt ausübt. Naive Kunst ist detailfreudig exakt und harmonisch bunt, oft von einer instinktiven Sicherheit in Komposition und Farbklang; ihre Themen reichen von der Umwelt des Künstlers bis zu fantastischen Traumbildern. Die soziologischen Wurzeln der naiven Kunst, an der Bauern und Industriearbeiter, aber auch Intellektuelle teilhaben, sind schwer zu klären, da die Künstler erst mit dem Aufkommen der modernen Malerei (Fauvismus, Expressionismus, Kubismus, Dada) und dem damit verbundenen Verzicht auf die Maßstäbe akademischer Korrektheit ein breiteres Interesse auf sich zogen.
 
Am weitesten lässt sich die naive Kunst in den USA zurückverfolgen, wo sie sich im 18. Jahrhundert aus der volkstümlichen Gebrauchsmalerei von Wanderkünstlern herausbildete und sich mit Porträt, Pionierleben und biblischen Motiven (E. Hicks) beschäftigte. Der europäischen naiven Kunst näher verwandt waren die Bilder der Farmersfrau Anna Mary Moses und die erotischen Szenen von M. Hirshfield. In Frankreich erhob der Zöllner H. Rousseau die naive Kunst zu einem vollgültigen Beitrag zur modernen Kunst. Auch L. Vivin, Séraphine, A. Bauchant, C. Bombois, die der Kunstschriftsteller W. Uhde 1928 zusammen mit Rousseau als »Maler des heiligen Herzens« ausstellte, waren bedeutende Künstler. Als eine zutiefst nationale, volksverbundene naive Kunst können die Bilder des Georgiers N. Pirosmanaschwili gewertet werden. In Deutschland gehören zur naiven Kunst u. a. A. Trillhaase, Friedrich Gerlach (* 1903, ✝ 1973), der nach Illustriertenbildern malende Josef Wittlich (* 1903, ✝ 1982) und A. Ebert, in der Schweiz A. Dietrich, in Italien Orneore Metelli (* 1872, ✝ 1938) und A. Ligabue. In vielen Ländern erfreut sich die naive Kunst einer so starken Nachfrage, dass die Laienkünstler zu Berufskünstlern wurden: Die bäuerliche Schule von Hlebine mit I. Generalić u. a. geht bereits in die zweite Generation, ebenso die Schule von Port-au-Prince (haitianische Kunst).
 
Eine naive Plastik gibt es v. a. in Osteuropa. In Deutschland trat E. Bödeker als Bildschnitzer hervor. Ein Beispiel naiver Architektur ist der »Ideale Palast« in Hauterive Drôme (Frankreich), den der Briefträger Joseph Ferdinand Cheval (* 1836, ✝ 1924) in 45-jähriger Arbeit aufbaute (restauriert 1982-93).
 
 
Die Kunst der Naiven, Ausst.-Kat. (1974);
 T. Grochowiak: Dt. n. K. (1976);
 A. Jakovsky: Naive Malerei (a. d. Frz., 1976);
 B. Krug-Mann u. E. Krug: Naive Malerei. Künstler, Werke, Tendenzen (1980);
 J. Pierre: Les peintres naïfs (Paris 1983);
 
American naive paintings from the National Gallery of Art, Ausst.-Kat. (Washington, D. C., 1985);
 
Gemalte Paradiese. N. K. aus Solentiname, hg. v. C. Rincón u. a. (1985);
 O. Bihalji-Merin: Die Naiven der Welt (Neuausg. 1986);
 
Weltenzyklopädie N. K., hg. v. O. Bihalji-Merin u. a. (a. d. Russ., 1989).

Universal-Lexikon. 2012.

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